03.02.2010

Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen Kostenvoranschlag

Entscheidung des Landgerichts Hildesheim zur Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen Kostenvoranschlag bei fiktiver Abrechnung des Schadens aus einem Verkehrsunfall (NZV 2010, 34)

7 S 107/09, Urteil vom 04.09.2009

 

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ließ von einer Reparaturwerkstatt einen Kostenvoranschlag über die Reparaturkosten des entstandenen Unfallschadens erstellen. Hierfür berechnete die Werkstatt ihm Kosten, die allerdings unterhalb der Kosten eines Sachverständigengutachtens für eine vergleichbare Schadenshöhe lagen. Der Fahrzeugschaden lag betragsmäßig oberhalb der Bagatellschadensgrenze, welcher regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die damit verbundenen Kosten als erforderlicher und ersatzfähiger Aufwand angesehen wird. (Anmerkung: diese Bagatellschadensgrenze wird von den meisten Gerichten unterschiedlich, meist zwischen ca. 500 € und 1000 €, vereinzelt bis zu 1400 € angesetzt. Der BGH hat in einem Fall die Bagatellschadensgrenze bei bis zu 700 € gesehen, vgl. BGH VersR 3005, 380 = NJW 2005, 356, 357.) Gleichwohl lehnte der Schädiger die Erstattung der Kosten für den Kostenvoranschlag ab.

 

Das Landgericht stellte den Streitstand der insoweit stark uneinheitlichen Gerichtsentscheidungen dar und sprach die Kosten des Kostenvoranschlags als erforderlichen und damit erstattungsfähigen Aufwand der Schadensregulierung, hier der Schadensermittlung, zu.

 

Das Landgericht führte hierzu aus, dass zwar aufgrund der Regelung in § 632 Abs. 3 BGB Kostenvoranschläge "im Zweifel" nicht zu vergüten seien, was aber heute nicht mehr der Praxis entspreche. Vielmehr seien Kostenvoranschläge, welche für die Werkstatt, wenn sie verlässlich und aussagekräftig seien sollten, nur unter erheblichem Zeit- und Arbeitsaufwand erstellt werden könnten, heute regelmäßig nur noch gegen entsprechende Vergütung erhältlich.
Das Landgericht stellte dar, dass ein Teil der Rechtsprechung eine Erstattungsfähigkeit der Kosten für einen solchen Kostenvoranschlag mit dem Argument ablehnt, dass die Kosten eines Kostenvoranschlags im Falle einer anschließenden Durchführung der Reparatur in der fraglichen Werkstatt meist voll auf die Reparaturkosten angerechnet und damit nachträglich wegfallen würden. Da dies bei fiktiver Abrechnung, wenn also die Reparatur anschließend nicht durchgeführt werde, nicht geschehe, würden somit Mehrkosten entstehen, welche den Geschädigten gegenüber der Reparaturdurchführung bereichern würden. Im Schrifttum sei dagegen weit gehend anerkannt, dass die Kosten eines Kostenvoranschlags jedenfalls dann zu ersetzen seien, wenn dieser anstelle eines im Einzelfall gegebenenfalls zu ersetzenden wesentlich teureren Gutachtens eingeholt würde. Dies werde auch in der jüngeren Rechtsprechung vermehrt so gesehen, mit der Begründung, dass der Geschädigte damit letztlich sogar eine Schadensminderungspflicht nachkomme. Das Landgericht schloss sich dann der letzteren Auffassung an.

 

Das Landgericht begründete dies sinngemäß damit, dass es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalles grundsätzlich gestattet sei auf fiktiver Basis abzurechnen. Der Geschädigte, dessen Schaden die Bagatellschadensgrenze übersteigt könne auf Basis eines Sachverständigengutachtens abrechnen, dessen Kosten zu erstatten seien. Wollte man nun den Kostenersatz für einen - ein Gutachten ersetzenden, ausführlichen - Kostenvoranschlag grundsätzlich ablehnen, würde man damit dem Geschädigten, dessen Schaden unterhalb der Bagatellschadensgrenze liegt, der also aus Schadensminderungsgründen nicht berechtigt ist, ein Sachverständigengutachten einzuholen, letztlich entweder die Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung abschneiden, weil im keine ihm direkt zugängliche Möglichkeit des Schadensnachweises verbliebe oder ihn zwingen, den Schadensnachweis auf eigene Kosten erstellen zu lassen und damit auf einen Teil seines Schadens sitzen zu bleiben. Bereits aus diesem Grunde müssten die Kosten eines Kostenvoranschlags erstattungsfähig sein. Dieses Ergebnis widerspräche dem Gesetzeszweck des § 249 BGB, denn dieser wolle sicherstellen, dass dem Geschädigten kein wirtschaftlicher Nachteil aus dem Schadensfall verbleibt.

 

Wenn darüber hinaus, wie im hier zu entscheidenden Fall, der Geschädigte sogar berechtigt gewesen sei ein Sachverständigengutachten einzuholen, dessen Kosten dann zweifelsfrei zu erstatten gewesen wären, dann könne dem Geschädigten erst recht nicht entgegengehalten werden, dass er - letztlich im Interesse des Schädigers - die gegenüber einem Sachverständigengutachten regelmäßig preisgünstigere Alternative eines Kostenvoranschlags zur Schadensermittlung gewählt habe, welcher auch der Schadensabrechnung zugrundegelegt worden sei.

 

Anmerkung: der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, dessen Schaden zweifelsfrei über der Bagatellschadensgrenze liegt, also nach derzeitiger Rechtsprechungslage jedenfalls bei mehr als 1500 €, sollte in jedem Falle ein Sachverständigengutachten gegenüber einem Kostenvoranschlag vorziehen, da es hier in den meisten Fällen sowohl hinsichtlich der Kostenerstattung, als auch hinsichtlich der Akzeptanz durch die Haftpflichtversicherung des Geschädigten zumindest seltener bzw. weniger Schwierigkeiten gibt, als bei einem Kostenvoranschlag. Der Geschädigte, dessen - voraussichtlicher - Schaden entsprechend der oben genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes, bei über 700 € liegt kann mit nur geringem Kostenrisiko ein Sachverständigengutachten nutzen; in den meisten Fällen wird dies auch der beste Weg sein; gleichwohl wäre gegebenenfalls eine Abstimmung mit dem Rechtsanwalt vor Beauftragung des Sachverständigengutachtens ratsam. Stattdessen kann der Geschädigte in diesen Fällen auch einen detaillierten Kostenvoranschlag zum Schadensnachweis wählen. Unterhalb der Bagatellschadensgrenze, also jedenfalls bei bis zu 700 €, ist der Geschädigte letztlich auf einen Kostenvoranschlag angewiesen, für den aber nach der beispielsweise vom Landgericht Hildesheim in der oben erläuterten Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung - die der Verfasser teilt - auch ein Kostenerstattungsanspruch besteht.


In jedem Falle muss der Geschädigte jedoch, wenn er einen Kostenvoranschlag seiner effektiven Schadensabrechnung zugrundelegen und dessen Kosten erstattet bekommen will darauf achten, dass dieser ähnlich detailliert ausfällt, wie ein Sachverständigengutachten. Insbesondere müssen also die einzelnen Reparaturschritte, die erforderlichen Ersatzteile, der Zeitaufwand und Kostenaufwand für Arbeitszeit, eventuelle Verbringungskosten außerhalb der Werkstatt (beispielsweise zum Lackieren oder für Vermessungsarbeiten), etc. explizit ausgewiesen werden, damit die Angaben nachprüfbar sind. Irgendwelche nicht detaillierten "Pauschalangebote" reichen für eine fiktive Schadensabrechnung regelmäßig nicht aus und sind, schon weil sie nicht nachprüfbar bzw. nachvollziehbar sind, auch normalerweise nicht geeignet als Schadensnachweis zu dienen. Dementsprechend besteht dann auch keine Kostenerstattungspflicht hinsichtlich der Kosten solcher Kostenvoranschläge. Ebenso sollte der Geschädigte bei Beauftragung des Kostenvoranschlags der Werkstatt klarmachen, dass irgendwelche "Mondpreise", überteuerten Stundenverrechnungssätze, übermäßiger Ansatz von Arbeitszeit, Mitreparatur nicht unfallbedingter Schäden oder Ähnliches in einem Kostenvoranschlag zur Unfallschadensregulierung nichts verloren haben, da versicherungsseitig üblicherweise zumindest eine grobe Überprüfung der Angemessenheit erfolgt und der Kostenvoranschlag demnach ähnlich belastbar sein muss, wie ein Sachverständigengutachten.